Dekor ist dann historisiert, wenn die dargestellten Motive auf Aussteller oder Empfänger, auf Rechtsinhalt oder Performanz (der Übergabe der Urkunde) Bezug nehmen. Die Buchmalereiforschung unterscheidet streng zwischen Motiven, die eine Bildaussage haben, also eine „Geschichte“ erzählen, und solchen Motiven, die rein dekorative Funktion haben (siehe Niveau 2).
Beispiele historisierten Dekors sind in der Buchmalerei schon seit dem Frühmittelalter zu finden. Bei der Dekoration von Urkunden dominieren im Frühmittelalter jedoch urkundenspezifische Elemente (siehe Niveau 3). Historisierter Dekor aus vorgotischer Zeit ist daher extrem selten.
Die Bildfreude des Spätmittelalters, die Tatsache, dass viele urkundenspezifische graphische Elemente aus der alltäglichen Kanzleipraxis weitgehend verschwinden, und neue Motive wie Wappen und herrschaftsspezifische Zeichen (z. B. die „Fleur de lys“ für Frankreich), die leicht in das Dekorationsprogramm aufgenommen werden können, können die explosionsartige Vermehrung des Materials ab ca. 1300 erklären.
Im Juni 2018 sind über 700 Beispiele versammelt (die Nummerierung bis über 900 entsteht, da von lombardischen Urkunden sowohl eine italienische als auch eine deutsche Version existieren). Sie machen deutlich, welches Potential in der Erforschung illuminierter Urkunden für die Kunstgeschichte steckt.
Martin Roland