Papsturkunden folgen - zumindest in den meisten Fällen - ganz strengen Regeln. Urkundentypen geben vor, welche Dekorelemente verwendet werden dürfen. Für Bullen im engeren Sinn, um ein beliebiges Beispiel zu nennen, sind die Initiale mit Aussparungen, der Papstname in Lombardenschrift, der Dekor der Oberlängen der langen "s" bei s(ervus) und s(ervorum) und vor allem auch die Elongata-artige Zierschrift in der ersten Zeile vorgesehen.
Figürlicher Dekor wird in den Regelwerken nie erwähnt.
Dass der Wunsch nach gesteigertem, eben auch figürlichen Dekor bestand, macht schon ein "Plakat" deutlich, das den Text eines (angeblichen?) feierlichen Privilegs überliefert (siehe bei 1343 September 19 [bald nach]; ähnlich aber qualitätvoller und aufwendiger 1459 Jänner 15 [nach]).
Bei einigen Urkunden Papst Martins V.
ist der mittlere Schaft der Initiale "M" als Säule dargestellt (siehe bei 1417 November 21). Dies ist zwar unauffällig, fällt – da sich ein
Bezug zum Aussteller ergibt, aber selbstverständlich unter den Begriff
"historisiert".
Von ganz anderem Kaliber sind Prunkausfertigungen des
Konzils von Basel und Papst Eugens IV. für Philipp den Guten, Herzog von
Burgund (siehe bei 1435 November 11 [zweites Exemplar], 1439 Juli 6 und 1442 Februar 4).
Eugen IV. hat auch als Erster Prunksuppliken genehmigt, deren farbiger Dekor im Binnenfeld der Initiale B(eatissime) das Wappen des Papstes zeigen (siehe bei https://www.monasterium.net/mom/IlluminierteUrkundenPrunksuppliken/collection). Diesem Wunsch nach Repräsentation ist auch ein weiteres Urkundenplakat verpflichtet, das den Text eines Ablasses des Konzils von Basel mit einer historisierten Initiale S(acta) schmückt (siehe bei 1436 April 14 [bald nach]).
Erstmals wird 1438 November 6 eine Bulle im engeren Sinn, die also denselben Vorgaben der Kanzlei zu gehorchen hat, mit historisierten Motiven ausgestattet. Wie schon bei den Beispielen aus der Kanzlei Martins V. wird ein Teil der Initiale, hier der Mittelbalken des "E" gegenständlich verfremdet, hier wird er durch zwei gekreuzte Schlüssel ersetzt.
Figürlicher Dekor im eigentlichen Sinn ist, nach heutigem Kenntnisstand, erstmals 1450 Mai 24 zu beobachten, wie Otfried Krafft festgestellt hat. Bei der Kanonikationsurkunde für Bernhardin von Siena wird der neue Heilige und zwei Engel im Binnenfeld dargestellt. Eine Zweitausfertigung (Link) zeigt das von zwei Engeln getragene, für den Heiligen charakteristische IHS-Medaillon, darüber eine Büste Gottvaters und darunter das päpstliche Wappen.
Eine 1466 Jänner 30 ausgestellte Littera cum (filo) serico zeigt – wie
bei den Prunksuppliken - das Wappen des Papstes, überhöht von gekreuzten
Schlüsseln und Tiara. Dies wird für einige weitere spätere Beispiele
vorbildhaft: 1472 März 15, 1475 Mai 1 und 1477 September 19.
Einer einfache Kopie eines Ablasses für
die Geissler von Bergamo von 1481 Juni 2 weicht formal deutlich ab. Die Federzeichnung eines
thronenden Papstes wird über die Initiale "S" geblendet.
Die unter
Sixtus' IV. begonnene Tradition historisierter Papsturkunden wird von
Innocenz VIII. (siehe bei 1484 November 2) und Julius' II. (siehe bei 1503 November 26 und 1508 Februar 8) fortgesetzt.
Ein eigenes Kapitel sind gedruckte Papsturkunden (vor allem im Zusammenhang mit Ablass-(Kampagnen). Als bisher ältestes Beispiel mit historisiertem Dekor ist ein Beispiel von 1480 März 3 (nicht vor) zu nennen.
Der vorerst hier gebotene Materialüberblick gibt kaum mehr als beliebige Zufallsfunde wieder, denn die Ausarbeitung des Dekors von Papsturkunden ab der Mitte des 15. Jahrhunderts hat noch gar nicht begonnen. Narrative Bilderzählung gehört jedoch zu den ganz grossen Ausnahmen.
Martin Roland